Sonntag, 4. Januar 2015

ein Fazit: Knoblauch, Spitzhacke und Größenwahnsinn



Ich hatte einer Lehrerin vor einigen Wochen versprochen, dass ich für meine ehemalige Schule einen Bericht über meine Erfahrungen schreiben werde. Endlich habe ich dies wahr gemacht und teile ihn auch mit euch. Wer meinen Blog komplett gelesen hat wird so manches wiedererkennen, aber nicht alles. Also noch einmal viel Spaß damit:


Endlich das Zeugnis in der Hand und so viele Ideen im Kopf für ein Jahr vor dem „Ernst des Lebens“: handwerklich und künstlerisch arbeiten, ein paar meiner Grenzen einreißen, Freunde besuchen, Kochen und eine neue Sprache lernen, Praktika machen, bewegen, Unis anschauen, eine neue Kultur kennenlernen, etwas mit meinen eigenen Händen erschaffen… und dabei mal richtig entspannen! Wie soll das nur gehen? Schnell war mir klar, dass ich mich nicht auf einen Ort für ein ganzes Jahr festzulegen vermochte. Am besten gar nicht festlegen, sondern mich mal leiten lassen und die Zügel etwas freigeben. Vier Monate schienen mir ein guter Zeitraum, um mithilfe von Internetseiten wie www.workaway.info und www.couchsurfing.org in einem einzelnen Land Kontakte zu Einheimischen und verschiedenen Projekten zu knüpfen.

Meine Entscheidung führte mich, nach 25 Stunden Zugfahrt, in das Land des Donaudeltas, der Karpaten und Draculas. Im Westen eher bekannt als das „Armenhaus Europas“, mit Alkoholismus, Zigeunern, Waisen und Korruption. Ich aber wollte mir ohne Vorurteile Rumänien mal ganz in Ruhe genauer anschauen. Statistisch gesehen hat Rumänien ca. 2/3 der Fläche Deutschlands, aber nur 1/4 der Einwohner, das heißt nur knapp 1/3 der Bevölkerungsdichte. Das ist nicht nur in den allgemein kleineren und dadurch ruhigeren Städten, sondern ganz besonders in der großflächig unberührten Natur zu spüren.



Zu Beginn meiner Reise fuhr ich auf einen kleinen Hof („Organic Art Ranch“) mitten im Apuseni-Gebirge, auf dem ich drei Wochen lang mit zwei weiteren Freiwilligen überall mit anpackte und dafür mal ein Leben abseits von Materialismus und Beschleunigung genießen durfte. Auch wenn das amerikanisch-mexikanisch-ungarisch-rumänische Pärchen keine eigenen Nutztiere besaß, halfen wir ihnen bei Apfel- und Kartoffelernte, im Gemüsegarten, in der Küche, beim Bauen und Reparieren von Lehmwänden und bei schwerster Heuarbeit der Nachbarn. Manchmal war es wie eine Zeitreise, mit kaltem Quellwasser, Draußendusche, Plumpsklo, Kamin, ohne Auto und jegliche Maschinen. Ich freute mich, viel Zeit mit einem eigenen Projekt verbringen zu können, bei dem ich mit vollem Körpereinsatz, Kreativität und Fingerspitzengefühl einen kleinen Kanal und eine Schutzmauer baute, die dafür sorgen, dass nun kein Regenwasser mehr in den Keller eines neugebauten Hauses fließen kann. Dafür grub ich den Boden um und ebnete ihn, schleppte große Steine, suchte die passenden Puzzleteile, bis ich alles so gut und gleichmäßig befestigt hatte, dass man ohne nachzudenken darüber gehen konnte. Wenn ich dieser Konstruktion dann auch noch mit Grasstücken vom anderen Ende des Hofes einen unauffällig natürlichen Anstrich verlieh, fühlte ich mich gerne an die verschiedenen Disziplinen und Praktika in unserer Schule erinnert.
 


Auch wenn ich der Farm die gesuchte Ruhe finden konnte, zog es mich recht bald wieder in die wärmere Zivilisation. Auf und neben Touristenpfaden genoss ich Dörfer und Wanderungen durch Wälder, erkundete kleine Städte wie Sibiu (Hermannstadt) mit seiner warmen Atmosphäre, sowie die etwas größere Studentenstadt Cluj-Napoca (Klausenburg), die vor jungem, alternativem Leben strotzt. Hier lebte ich in einer Art Kommune, einem Haus, dessen Besitzer aus der Marktwirtschaft aussteigen wollen, deshalb ihr Hotel aufgaben und ihre Türen allen interessierten Menschen öffnen. Das Haus soll sich langsam „selbst erhalten“ können, ohne ihren Einfluss. Alle Gäste und Freiwilligen bringen es mit eigenen Ideen voran und jeder passt auf, dass es sauber, ordentlich und mit Essen im Kühlschrank bleibt.

So bunt wie in dem Haus ist es auch auf den Straßen. Gerade in Cluj-Napoca leben alle über Rumänien verteilte Minderheiten mit den Rumänen auf engem Raum zusammen: ethnische Deutsche (Sachsen) und Ungarn (Magyaren/Szekler), sowie Roma verschiedener Kasten. Jede/r hat gegen jede/n Vorurteile und es gibt ein hohes Konfliktpotential. Deshalb besuchte ich mit einer Freundin eine Zigeunerin, die am Stadtrand Clujs in abgewrackten Verhältnissen gemeinsam mit zwei Familien lebt. Klara Gabor („the rebel in a gypsy dress“), hat sich selber gutes Englisch beigebracht, verkauft im Internet selbstgeschneiderte Kleider und wird von den meisten in ihrem Umfeld deshalb als „Freak“ bezeichnet. Die meisten Roma sind sehr traditionsverbunden, sprechen ihre eigene Sprache, mischen sich nicht mit anderen Kasten, heiraten früh und lassen ihre Töchter oft nicht zur Schule gehen. Von Rumänen wird ihnen vorgeworfen, unehrlich und unzuverlässig zu sein und vor allem auch ein schlechtes Image besonders im westlichen Ausland zu hinterlassen. Auch der politisch korrekte Ausdruck „Roma“ macht es nicht leichter sie von „Rumänen“ zu unterscheiden, dabei sind sich ihre Kulturen nicht sehr ähnlich.


Schließlich traf ich noch meinen Freund in Rumäniens Hauptstadt Bukarest. Ich wurde vielfach vorgewarnt, dass sie sehr hässlich sei. Für uns war es jedoch eher spannend, da sich viel Geschichte in den Mauern verbirgt. Viele der Einwohner Bukarests sind traurig über das Stadtbild, welches stark von Nicolae Ceausescu (1965 bis 1989 der neostalinistische Diktator der Sozialistischen Republik Rumänien) geprägt wurde. Er hatte einige Straßen, historische Gebäude und Kirchen zerstören lassen um hässliche Kommunalbauten an ihre Stelle zu setzen. Sein Lebenswerk und der Gipfel seines Größenwahns ist das Rumänische Parlament, das größte Gebäude Europas. Das Einzige was ich an diesem Projekt als ansatzweise sympathisch empfand, war, dass er nur in Rumänien produzierte Materialien verwendete, um der Welt zu zeigen, zu was das Land imstande war. Noch bevor das Gebäude benutzbar war, wurde Ceausescu gestürzt und Weihnachten 1989 öffentlich hingerichtet. In der nachkommunistischen Zeit konnte sich Rumänien nur langsam von den Folgen jahrzehntelanger Diktatur und Misswirtschaft erholen. Während meiner Reise erlebte ich viel Unmut der jungen Generation, da z.B. Löhne oft nicht für mehr reichen als eine monatliche Miete. Deshalb versuchen einige von ihnen im Ausland ein besseres Leben zu finden. Umso spannender war es dadurch für mich, die von Protesten begleiteten Präsidentschaftswahlen 2014 im November mitzuerleben. In einer Stichwahl verlor der vom Westen als „Kind des Wendekommunismus“ bezeichnete Favorit und stattdessen der ethnisch deutsche Klaus Johannis als knapper Sieger hervorging. Er hat versprochen, die Korruption in Rumänien zu bekämpfen und die Unabhängigkeit der Justiz zu verbessern.
 

All diese Erfahrungen konnte ich vor allem machen, weil ich bei vielen verschiedenen Rumänen lebte, durch sie unterschiedliche Blickwinkel kennenlernte und hinter die Fassaden blicken konnte. Nach diesen Monaten der „Heimatlosigkeit“ freute ich mich, schließlich nach Hause zurückzukehren. Nun habe ich noch genug Zeit um meine restlichen Punkte auf der Wunschliste abzuhaken, wie ein Praktikum am Parzivalhof und Besuche in Universitäten zu machen. Ich bin sehr froh, diese Reise so gemacht zu haben, weil es mich offen genug sein lies unvoreingenommen viele verschiedene Seiten dieses wunderschönen Landes kennenzulernen.